Ein Tag mit Tanja Kolev

„Ich betreue Menschen, die sich wirklich bedanken“

Auf Tour mit einer Pflegerin – Zufriedenheit auf beiden Seiten

Montagmorgen, halb acht: In den hellen Räumen der Pflegegruppe Mitte/Süd der Katholischen Sozialstation Stuttgart unweit des Marienhospitals wuseln Frauen in weißen Kasacks. Neben einem langen Konferenztisch hängen große Dienstplan-Tafeln. Darunter liegen auf einem Sideboard farbige Ablagefächer für die Touren. „Rot ist die Pflege, blau die Hauswirtschaft und schwarz das Wochenende“, erklärt Tanja Kolev die Farben der Fächer. Die hellblonde Frau mit Pferdeschwanz und silbernen Creolen trägt als Leiterin der Gruppe die Verantwortung für einen Auszubildenden und eine Bürokraft sowie für elf pflegende und sieben hauswirtschaftliche Mitarbeitende. Gemeinsam betreuen sie 132 Kunden auf einem Gebiet von Stuttgart-Mitte bis nach Plieningen und Degerloch.

„Jeder Tag ist anders“

Als Chefin ist Kolev Springerin. Heute hat die 52-Jährige Dienst und übernimmt eine der fünf Vormittagstouren in der Pflege. „Man weiß nie, was kommt, jeder Tag ist anders.“ Sie wirft einen Blick ins Übergabebuch, öffnet dann einen grauen Metallschrank und nimmt ein paar der unzähligen Schlüssel, die darin hängen. Dann schnappt sie sich eine schulheftgroße rote Reißverschlusstasche, steckt die Schlüssel und ein Diensthandy hinein und fährt mit dem Fahrstuhl zu Gerd, dem ersten Kunden. Der wohnt in der Seniorenwohnanlage der Caritas Stuttgart, die sich im gleichen Haus wie die Pflegegruppe befindet.

Blutzucker messen, Medikamente reichen

Gerd liegt ausgestreckt in dunkelblauen Sweatshorts auf einem schwarzen Ledersofa, die Junisonne lugt über den Balkon ins Wohnzimmer. „Ich warte schon seit 8 Uhr“, klagt der 78-Jährige. „Aber wir haben doch erst 7.45 Uhr“, entgegnet Kolev schmunzelnd und zieht sich Einmalhandschuhe an. „Jetzt stehen wir mal auf.“ Sie hilft ihm, sich aufzurichten. Dann misst sie den Blutzucker, setzt dem Diabetiker eine Insulinspritze in den Bauch und schüttet Medikamente in seine hohle rechte Hand. Der Mann mit dem grauen Schnauzer führt sie zum Mund und spült die Pillen mit Mineralwasser hinunter.

Frühstück inklusive

Nun geht es ans Frühstück. Gerd folgt der Pflegerin in die kleine Küche des Apartments. „Mit Marmelade oder Wurst?“, fragt sie. „Mit Frischkäse bitte!“  Kolev legt eine Brotscheibe auf einen weißen Porzellanteller, schmiert Frischkäse darauf und viertelt sie. Dann stellt sie den rappelnden Wasserkocher ab, gibt einen Löffel löslichen Kaffee und Süßstoff in einen bunten Steingut-Becher, gießt heißes Wasser hinein und trägt Tasse und Teller zum Glastisch vor dem Sofa. Zum Abschluss dokumentiert Kolev ihre Arbeit in einer roten Akte. Darin überprüfe der Kunde am Monatsende, ob alle Leistungen wie notiert erbracht worden seien, und quittiere mit seiner Unterschrift.

Leichte Arbeit für die Expertin

Die nächste Kundin, Maria, wohnt im gleichen Haus wie Gerd. In ihrem abgedunkelten Wohnzimmer sitzt die 70-Jährige mit dem brünetten Pagenschnitt auf einem Stuhl und streckt Kolev das rechte Bein entgegen. Die Pflegerin nimmt einen Kompressionsstrumpf von einer Stuhllehne und zieht ihn über Marias Unterschenkel. Eine leichte Übung für die Pflege-Expertin: In Serbien als Kinderkrankenschwester ausbildet arbeitete sie zunächst in der plastischen Chirurgie des Marienhospitals. 2003 begann sie als Aushilfe bei der Sozialstation. Nun leitet sie schon seit 13 Jahren die Pflegegruppe. „Das Arbeiten hier ist ganz anders als stationär“, erzählt sie auf dem Weg zum Auto. Sie würde nie wieder ins Krankenhaus wechseln. „Dort ist der Stress enorm, ich hatte als OP-Schwester kaum Kontakt zu den Menschen.“ Das sei bei der Sozialstation ganz anders. „Mein Team unterstützt mich und ich betreue Menschen, die sich wirklich bedanken.“

Stomabeutel leeren, Nahrungssonde spülen

Sie eilt aus dem Gebäude auf die Straße zu ihrem weißen Dienstwagen, der mit Faltdach, Fernsprechanlage und Sitzheizung ausgestattet ist und auf dessen Heckklappe die Aufschrift „Einsatzleitung“ prangt. Durch dichten Verkehr geht die Fahrt auf die Stuttgarter Weinsteige. Hier sucht sie nicht lange nach einem Parkplatz, sondern stellt den Wagen vor der Garage ihrer Kundin ab. Bei ihr muss der Stomabeutel gelehrt und der Zugang für die Flüssignahrung gespült werden. Kolev verschwindet in dem mächtigen Einfamilienhaus – und kommt nach einer Viertelstunde wieder heraus. „Das hat sehr gut geklappt.“

Gute Kalkulation ist wichtig

Als nächste Station steht ein Ehepaar in Kaltental auf dem Programm. In dem Stuttgarter Stadtteil kennt sich Kolev aus, denn sie wohnt hier seit 23 Jahren, und hier gingen ihre 22 und 23 Jahre alten Söhne zur Schule. Bei dem über 80-jährigen, rüstigen Ehepaar stehen Verbands- und Kompressionsstrumpfwechsel an. Nach einer kurzen Fahrt spült sie einem Kunden Mitte 50 die PEG-Sonde. Anschließend kämpft sie sich durch den Verkehr zur Olgastraße, wo sie einer fast blinden und schwerhörigen alten Frau ihre Tabletten reicht. Bei allen Touren, weiß Kolev, gelte es, gut zu kalkulieren: „Wir müssen schauen, was wir leisten können, damit die Leute zufrieden sind.“ Trotz großer Freude am Job gehe das nicht von selbst. „Man braucht einen Ausgleich“, ist sie überzeugt. Sie tanke beim Tanzen und Reisen wieder auf.

Verdiente Pause

Mittlerweile ist es halb zwölf, Essenszeit. Kolev erreicht das Betreute Wohnen der Caritas Stuttgart am Lehenweg, ihre letzte Station an diesem Vormittag. Sie fährt mit dem Aufzug zu Else. Vor deren Wohnungstür hebt sie eine schwarze Isolierbox vom Boden auf. „Das ist das Mittagessen vom Malteser Hilfsdienst, der kontaktlos liefert.“ Die 81-jährige, gehbehinderte Kundin sitzt mit himmelblauer Bluse auf einem Massagesessel. Kolev stellt die Box auf den Esstisch und lüftet den Deckel.  „Schnitzel mit Gemüse“, verkündet sie. Else freut sich: „Wie schön, das schmeckt!“ Die beiden kennen sich seit zehn Jahren, waren früher zusammen Eis essen. Das planen sie auch für die Zukunft. Aber jetzt heißt es einmal Pause für Kolev – auf der begrünten Terrasse der Pflegegruppe: „Das habe ich mir verdient.“    

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